Aphasie

„Ja…Garten…Sohn… Schi…toch… äh…Sohn und… Schiebe-tochte…Faul…nein…Faumen fülken, nein Korb Faumen…Garten … ich Sonne sitzen, dann hause…Kuchen backen…Sohn gerne Faulmenchuchen.“
(Äusserung einer Frau mit Broca-Aphasie)

So ein Unsinn?
So reagieren die meisten Leute, die mit Menschen mit Aphasie ins Gespräch kommen. Wir als Sprachtherapeuten hören diese Sprachfragmente täglich.

Was wissenschaftlich als Sprachstörung nach abgeschlossenem Spracherwerb mit Störungen des Sprachverständnisses, der Grammatik, der Wortfindung und der Schriftsprache beschrieben wird, bedeutet für den Betroffenen einen massiven Bruch der Verbindung zu seinen Mitmenschen.

Mit der Einbuße sprachlicher Funktionen kann der Mensch an der von Sprache geprägten Gesellschaft nicht mehr teilhaben. Ihm droht die soziale Isolation.

Die häufigste Ursache für eine Aphasie ist der Schlaganfall.
Bundesweit leben fast 1 Million Menschen mit den Folgen dieser plötzlich auftretenden Erkrankung. Aufgrund des Mengenanstiegs der älteren Bevölkerung wird die Zahl der Erkrankten weiter zunehmen. Durch medizinischen Fortschritt und steigende Lebenserwartung wird die Zeit, die die Betroffenen mit den Folgen der Erkrankung leben müssen, immer länger.

Anerkannte Studien haben gezeigt, dass früh einsetzende und hochfrequente sprachtherapeutische Maßnahmen eine Verbesserung der sprachlichen Funktionen ermöglichen, die signifikant über der zu erwartenden Spontanremission liegt.
Neuere Untersuchungen, die eine Neubildung von Nervenzellen auch im erwachsenen Gehirn vermuten lassen, legen nahe, dass sogar nach mehr als zwei Jahren durch zentrale Hirnläsionen aufgetretene Symptome noch Chancen auf Verbesserung haben.

Die Sprachtherapie von Aphasie läßt sich in drei Behandlungsphasen einteilen:

  1. Aktivierungsphase mit dem Ziel der sprachlichen Stimulierung
  2. Störungsspezifische Übungsphase
  3. Konsolidierungsphase mit Schwerpunkt in der Ausbildung der Fähigkeiten des einzelnen Patienten und ihrer Übertragung in den Alltag.

Ziel und Wirkungsweise der Therapie ist einerseits, benachbarte gleichwertige Zellverbände anzusprechen und zur Übernahme verlorengegangener Funktionen anzuregen (Reorganisation).
Andererseits sollen analoge Strukturen der nicht betroffenen Gehirnhälfte angesprochen werden, um teilweise die gestörten Hirnfunktionen zu kompensieren (Kompensation)

Dem Sprachtherapeuten stehen verschiedene Methoden zur Verfügung, um die Therapie individuell auf den einzelnen Patienten abzustimmen.

In der linguistisch orientierten Methode wird die linguistische Grundstörung z.B. im semantischen, syntaktischen oder phonologischen Bereich in gezielten Übungen direkt angesprochen.

Mit der modalspezifischen Vorgehensweise führt der Therapeut den Patienten an die Möglichkeit heran, die gestörte Modalität der Lautsprache durch eine andere intakte Modalität, wie Gestik, Mimik, schriftsprachliche und visuelle Darstellungen (z.B. Kommunikationsbuch) zu ersetzen.

Indirekte stimulierende Methoden nutzen weitgehend intakte Modalitäten wie z.B. das in der nicht gestörten linken Gehirnhälfte liegende musische Zentrum zur Deblockierung (MIT).

Im Rahmen  kommunikativer Methoden (z.B. PACE) steht das erfolgreiche Teilnehmen an der Alltagskommunikation im Vordergrund. Situationsgerechtes Anwenden von Alltagsfloskeln, Nennen des eigenen Namens oder Verständigung über das Vorlegen passender Schriftkärtchen können dann Therapieinhalt sein.

Eine Zusammenstellung an Informationsmaterial für Aphasiker und deren Angehörige können Sie gerne bei uns in der Praxis anfordern.

Selbst bei schweren Störungen bleibt es Aufgabe der Sprachtherapie, auch außerhalb der Lautsprache Wege in die Kommunikation zu zeigen und dem Aphasiker die Teilnahme an der Gesellschaft zu ermöglichen.

Setzt die sprachliche Aktivierungsphase bereits im Akutkrankenhaus ein und schließt daran eine hochfrequente Behandlung  (z.B. in der Reha-Klinik) an, so wäre es durchaus  möglich, daß nach einer weiteren Konsolidierungsphase von ein bis zwei Jahren wöchentlicher Sprachtherapie die oben zitierte Frau mit Broca-Aphasie auf die Frage, ob sie gestern die Sonne genießen konnte, folgende Antwort gibt:

„Ja, ich war im Garten. Mein Sohn und meine Schwiegertochter haben Pflaumen gepflückt. Ich habe in der Sonne gesessen. Zu Hause habe  ich  Kuchen gebacken. Mein Sohn ißt so gerne Pflaumenkuchen.“