„Ach, ich habe keinen Appetit, ich esse doch Nichts in der Öffentlichkeit“ antwortet Herr Schmitz seiner Frau, die mit ihm seit langem mal wieder zum Italiener an der Ecke wollte.
(Äußerung eines Betroffenen)
So wie Herr Schmitz meiden viele Menschen mit Facialisparese die Öffentlichkeit. Sie sind oft konfrontiert mit neugierigen Blicken da sie durch die Lähmung ihre Mimik nicht wie gewohnt steuern können. Häufig fällt es weiterhin schwer beim Essen und Trinken den Mund ausreichend geschlossen zu halten oder den Speichelfluss zu kontrollieren. Dies ist nur ein Ausschnitt der Probleme, die Menschen mit einer Facialisparese bewältigen müssen.
Das Sprechen ist zum Teil betroffen, da die Gesichtsmuskulatur nicht mehr ausreichend innerviert wird und daher die Muskeln nur eingeschränkt arbeiten. Die Betroffenen sprechen meist undeutlicher, oder haben viel Speichel im Mund, weil die Wahrnehmung im Mundraum eingeschränkt ist. Speichel kann nicht mehr regelmäßig abgeschluckt werden und die Nahrung bleibt zum Teil in den Wangentaschen hängen. Verletzungen der Mundschleimhaut (z.B. durch das Kauen auf der Wangentasche oder auf der Zunge) werden von den Patienten nicht ausreichend wahrgenommen. Infolgedessen entstehen leicht Entzündungen. Auch die Symmetrie des Gesichts ist durch unangepasste Muskelspannung verändert. Auch der Geschmackssinn der Patienten kann durch die Parese betroffen sein.
Die Einschränkungen beim Essen werden häufig als besonders belastend empfunden, so dass Essen auf eine lebensnotwendige Nahrungsaufnahme reduziert wird und die begleitenden Komponenten „Genuss“ und „gesellschaftliches Zusammensein“ verloren gehen.
Mit der Einbuße sprachlicher Funktionen und optischer Merkmale kann der Betroffene an der von Sprache und Äußerlichkeiten geprägten Gesellschaft nicht mehr teilhaben. Ihm droht die soziale Isolation.
Mögliche Ursachen für eine Facialisparese:
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- Tumore können durch ihr Wachstum den Fazialisnerv schädigen.
- Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers (Epstein-Bar-Virus)
- durch Zecken übertragene Borreliose
- Infektionen und Entzündungen im Bereich der Ohren, wie die akute Mittelohrentzündung
- Verletzungen im Kopfbereich
- Operative Eingriffe
- HIV
Ziel und Wirkungsweise der Therapie
Das Ziel der Therapie ist es, die gestörten motorischen und sensomotorischen Basisfunktionen der Sprechorgane nach Möglichkeit wiederherzustellen. Da der orofaciale Bereich neben dem Sprechen gleichzeitig auch vitale Funktionen während des Schluckens übernimmt, wirken sich die schluckmotorischen Übungen gleichzeitig positiv auch auf die Sprechmotorik aus.
Um die Vital- bzw. Schluckfunktionen wiederherzustellen, gibt es verschiedene Therapiemethoden:
Spiegeltherapie:
Bei dieser Therapieform werden Spiegel in einem bestimmten Winkel zueinander angeordnet, sodass der Patient, wenn er sich vor den Spiegel setzt, sein Gesicht durch die Schnittfläche der Spiegel geteilt sieht. Somit werden die Bewegungen der betroffenen Gesichtshälfte als Bewegungen der nicht betroffenen Gesichtshälfte wahrgenommen.
Myofunktionelle Therapie:
Diese Therapie eignet sich besonders für Patienten mit motor-/ sensorischen Störungen nach Schädigung des ZNS oder PNS. Der Ansatz der myofunktionelle Therapie zielt auf die Korrektur gestörter orofacialer Muskelfunktionen ab.
PNF Propriozeptive Neuromuskuläre Faszilitation:
Aus der Physiotherapie entnommene Behandlungsmethode. Gestörte Bewegungsabläufe sollen normalisiert werden, indem z.B. durch Druck und Dehnung die Propriozeptoren der Muskeln angesprochen werden, was zu einer vermehrten Reaktion der Muskeln führt. Diese Effekte können durch thermische Reize unterstützt werden.
F.O.T.T. Fazio- Orale- Trakt- Therapie:
Dieser entwicklungsneurologische Ansatz basiert auf dem Bobath– Konzept. Das Konzept geht von der Plastizität des Gehirns aus, die es hirngeschädigten Patienten ermöglicht, gestörte Funktionen über Reorganisationen des verletzten Nervengewebes wiederzuerlernen.
Förderung der Wahrnehmung im orofacialen Bereich durch Stereognose:
Erkennen von Dingen durch Tastsinn im Zusammenspiel von Druck-, Schwere-, Temperatur
Da die Nervenstränge sich im akut Stadium schneller wieder regenerieren können, ist ein früher Therapiebeginn für eine möglichst erfolgreiche Rehabilitation unabdingbar. Ein Nichtbewegen der Muskulatur kann zu einer Atrophie führen.
„Schatz, lass uns doch einmal den neuen Italiener an der Ecke ausprobieren. Ich habe Appetit auf eine leckere Pizza und auf ein kühles Bier!“
(Äußerungen eines durch Therapie unterstützten Betroffenen)